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A. Entschuldungsregelung - Gesichtspunkte für eine gesetzliche Neureglung
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Schuldenmachen ist ein Archetyp des menschlichen Zusammenlebens.
Hierzu gehört, dass das Abtragen der Schulden schwer fallen kann oder unmöglich sein kann. Ein weiterer Archetyp ist deshalb, dass immer auch Mechanismen der ersatzweisen Schuldenbefreiung ritualisiert werden - im modernen Staat institutionalisiert werden. Dies umfasst regelmäßig irgendeine Form der Sanktion. So gilt es weltweit für alle Zivilsationen.
Sanktionsbeispiele: Die Beichte (mit Sanktionsregeln), die irdische strafrechtliche Sanktion, die Entschuldigung, das Vergeltungsrecht "Auge um Auge", Geldzahlung an "Beleidigte", der mittelalterliche Pranger, Schuldturm und Sippenhaft, Arbeitspflichten und anderes.
Der häufigste zwischenmenschliche Fall der nicht eingelösten Schulden der organisierten Gesellschaft ist bei finanziellen Schulden. Eine Analyse der Rechtslage in Deutschland verdeutlicht ein unendliches Spektrum der Möglichkeiten und eine kleine Auswahl des Gesetzgebers hieraus:
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A.1. Mit Folgen von Zahlungsunfähigkeit sind unmittelbar oder mittelbar etwa 20 % der Bürger belastet.
Je nach Definition der statistischen Auswertung sind es etwa 20 % der Bürger. Der Problemkreis hierzu ist allgemein ausdiskutiert und anerkannt in etwa folgendem Sinn:
Diese Bürger verfügen nicht über wesentliche frei verfügbare finanzielle Mittel und haben keine weitgehende Interessengleichheit. Sie sind deshalb außerstande, die gegenwärtig vorherrschende Form der institutionalisierten Interessen-Vertretung der modernen Politik (eine interessenfinanzierte Lobby also) zu gestalten.
Sie verfügen über keine Handlungsspielräume, die Politiker oder ihre Vertragspartner im Rahmen der Koalitionsfreiheit des Grundgesetzes zu bedrängen (keine Streikmöglichkeit). Denn ein Zahlungs-Streik aller Schuldner wäre
weder koordinierbar noch hilfreich.
Die persönlichen Schicksale sind zu eintönig und zu wiederkehrend für eine effiziente Medien-Unterstützung. Einzelschicksale sind zwar ,,ausreichend traurig'' für gelegentliche journalistische Verwertung in beiläufigen Beraterseiten. Aber die Schicksale sind wiederum ,,nicht traurig genug'' für eine die Meinung beeinflussende Hervorhebung. Die Titelseiten der Boulevardpresse, die hierfür nötig wären, sind im Effizienzkalkül der Medien gewöhnlich für solche Themenkreise nicht verfügbar.
Abschätzung des volkswirtschaftlichen Schadens:
Allgemein anerkannt ist: Ein beträchtliches volkswirtschaftliches Kapital liegt hier brach.
- Beträchtliche volkswirtschaftliche Schäden entstehen sowohl bei den Schuldnern wie bei den Gläubigern durch die Inkasso-Problematik.
Eine statistische Bezifferung ist nicht möglich, da die Quereffekte eines derart umfangreichen Problems nicht zuverlässig rechenbar sind. Schätzungen mögen bei einem volkswirtschaftlichen Schaden von etwa 5 bis 30 % der jährlichen Wirtschaftsleistung in Deutschland liegen: Die Lösung des Problems könnte die Wirtschaftsleistung und den mittleren Wohlstand im Land mit etwa diesem Prozentsatz steigern.
Komplexität der gesellschaftlichen Verankerung von Überschuldung.
Das Problem ist allerdings komplex verankert und bedarf auch einer soziologischen und psychologischen Analyse. Finanzprobleme der einen haben einen wenig erörterten Nutzengewinn bei den anderen zur Folge. In Gruppen benötigen die Vorteilsinhaber immer der Vorteilsentbehrer, um in der Hierarchie der Gruppe über den Wert von zusätzlichem Ansehen verfügen zu können. Konkreter gesagt, für die Nicht-Überschuldeten ist es ein prestige-orientierter individueller Nutzenzuwachs, zu wissen, dass es Überschuldete gibt.
,,Reicher Mann und armer Mann standen da und sahen sich an. Und der Arme sagte bleich: ,Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.' '' ( B.Brecht)
Daraus ist abzuleiten: Die Vorteilsinhaber müssten eigentlich nicht extrem engagiert darum bemüht sein, den Vorteilsentbehrern (den Überschuldeten) das Aufrücken durch Entschuldung zu ermöglichen.
Empirische Bestätigung der Vermutung: Die tatsächliche Komplexität von Entschuldungsverfahren entspricht diesem mutmaßlichen letztlichen Unwillen, das Problem geradlinig, einfach und vollständig zu lösen.
Es ist in der Rechtsprechung und im Schriftrum ausreichend klargestellt, dass das geltende Entschuldungsrecht oft ungerecht für Gläubiger ist und oft ungerecht für Schuldner. Dies hat einfache Gründe der Gesetzgebungs- Technik,, was behebbar wäre. Aber es besteht vielleicht auch ein sehr viel komplexer basierter Widerstand gegen eine klare einfache Reglung, wie soeben als Möglichkeit aufgezeigt.
Für solche Konstellationen gilt als allgemeine ordnungspolitische Regeln: Sofern eine komplexe Realität nicht einfach regelbar erscheint, muss nach Alternativen gesucht werden.
Eine diskutierbare Alternative: Klare Verjährungsregeln; hierdurch in der Regel Entschuldungsverfahren nicht mehr nötig.
Die bekannten und ausreichend diskutierten Mängel des gegenwärtigen Entschuldungsrechts würden beispielsweise weitgehend gegenstandslos werden, sofern eine klare Rahmensetzung durch wirklich absolute Verjährungsfristen zu voraussehbaren und abschätzbaren und kalkulierbaren Risiken der jeweiligen Vertragsarten führt.
Denn dann würden alle Verträge zukünftig risikoentsprechend gestaltet werden. Gläubiger würden bei der Auswahl der Vertragspartner die Ausfallrisiken werten und wären also nicht schlechter gestellt als gegenwärtig.
Letztlich waren die Verjährungsfristen schon immer ein Entschuldungsrecht, und dies relativ klar und ohne die Bürokratie von Entschuldungsverfahren.
Unbrauchbar wurden die ,,Entschuldung durch Verjährung'' dann aber, weil der Sonderfall der vollstreckbar gemachten Forderung durch das moderne Bankwesen und durch die zunehmende Präsenz von Großunternehmen und Anwälten zum Regelfall gemacht wurde: Aus rund 5 Jahren Verfolgungsdauer wird damit zunächst einmal eine Dauer von 30 Jahren zuzüglich Klagedauer.
Durch die Rechtsprechung weicht die tatsächliche effektive Verjährungsfrist in Deutschland von dieser gesetzlichen Norm aber erheblich ab. Sie liegt zwischen 15 Jahren und lebenslang. Es kommt sehr auf die Spezialisierung und Qualifikation des jeweiligen Anwalts an, welche Variante im Einzelfall zum Tragen kommt. Überschuldete sind regelmäßig nicht gut genug informiert, um Anwälte zu wählen, die den Rechtsexperten der Banken gleichwertig sind. Wer sich nicht auf entsprechende Rechtsprechung beruft, haftet meist mindestens 30 Jahre und eher lebenslang.
Der heutige Bedarf an Entschuldungsrecht ist also eng verkoppelt mit dieser heutzutage üblichen Aushebelung der vom Gesetzgeber vorgedachten Beschränkung auf Verjährungsfristen. Diese Aushebelung ist nicht zu beanstanden. Zu zeigen war nur, dass auch gesetzliche Verjährungsfristen das Problem lösen konnten, und wieso dies heutzutage nicht mehr gilt.
Wollte man das Entschuldungsrecht weitmöglichst durch ein Konzept der nicht-abdingbaren und nur selten aushebelbaren Verjährungsfristen ersetzen, so könnte beispielsweise gelten: .
12 statt 30 Jahre (also Schuldner nicht länger verfolgen als eine mittlere Totschläger-Strafdauer).
7 Jahre nach Überschuldung gegenüber institutionellen Gläubigern (also in etwa in Einklang mit dem Mittelwert unterschiedlicher Aufbewahrungsfristen).
3 Jahre bei Beträgen von gewerblichen Anbietern mit Scoring- Zugang, z.B. Handyverträge.
Die realitätsnahe Formulierung solcher Reglungen wird gewiss recht schwierig sein. Aber im Ergebnis könnte dies Regelungsbeispiel vieles vereinfachten.
Komplexität ergibt sich daraus, dass Ausnahmen bestehen müssen.
Beispiel: Bei Darlehnsverträgen mit mehrjähriger Laufzeit muss der Beginn der Verjährung definiert werden und darf normalerweise erst bei Erlöschen von Sicherheiten beginnen.
Weiteres Beispiel: Bei straftat-bedingten Verbindlichkeiten darf nicht ohne Weiteres entlastet werden.
Weiteres Beispiel: Ist das Einkommensniveau eines privaten Gläubigers deutlich unterhalb des zukünftigen Einkommensniveaus des zu entlastenden Schuldners, so müssen Gesichtspunkte der Ausgewogenheit einbezogen werden..
Allerdings sind alle diese Komplexitäten auch bei den jetzigen Überschuldungsverfahren vorhanden und werden dort nicht ausgewogen geregelt, weil das Verfahren ohnehin zu komplex ist für noch mehr Besonderheiten. Ein Münchner Amtsrichter hat beispielsweise wiederholt und vergeblich versucht, die verfassungsrechtliche Problematik im Fall von besonderer Unausgewogenheit entschieden zu erhalten. Beispiel von Unausgewogenheit: Ein Rentner lebt in Not, weil sein gut verdienender Ex-Schwiegersohn mal rasch die Finanzhilfe einer fehlgeschlagenen Gründung abschüttelt.
Damit endet das objektiv Formulierbare. Weiter unten auf dieser Textseite werden Folgerungen hieraus erörtert. .
B.3. Gerichtliche Abwicklung bei Finanzproblemen neu ordnen: Vermögensschutz, Schutz redlicher Gläubiger, Schuldnerschutz.
B.4. Herstellung von Effizienz zur Restschuldbefreieung.
(Mehr früherer Text hierüber erscheint hier erneut nach baldiger Aktualisierung.)
B.5. Erzwungene überzogene Schuldnerunterwerfung muss nichtig werden: Angehörigen- Bürgschaften, Vollstreckbarkeit ohne Recht auf Gerichtsverfahren. Keine private Haftung für Geschäftsschulden.
(Mehr früherer Text hierüber erscheint hier erneut nach baldiger Aktualisierung.)
B.6. Die Verminderung der Arbeitslosigkeit durch solche Neureglungen:
Eine rechnerische Erfassung der Effekte ist wegen der komplexen Querbeziehungen der Wirkungen nicht möglich. Die Summe dieser Maßnahmen des finanziellen Vergessens weit vor Lebensende mag etwa ein Drittel der jetzigen Arbeitslosigkeit beheben. Denn es würde ein erhebliches gegenwärtig brachliegendes Dynamikpotential aktiviert werden. Der Effekt ist schwer abzuschätzen. Jedenfalls haben diese nahezu nicht diskutierten Tabu-Probleme eine erhebliche bremsende Wirkung für Wirtschaft und Gesellschaft.